Ihre ersten Künstlerbücher erschienen 1962 unter dem Titel “Folded Stories” bei Basilius Presse in Basel. Mit diesen kleinen Büchern begannen ihre sozialkritischen und philosophischen Abhandlungen. Jedes Buch hat ein Thema das sie beschäftigt. Insbesondere das Verhalten von Menschen in einer Großstadt wie New York, Arbeiten – Schlafen – Arbeiten – Schlafen, oder Party machen, sich versehen oder bekriegen waren ihre wichtigen Themen. Leider hat die Basilius Presse alle Originalzeichnungen weggeworfen sodass die Bücher nicht mehr nachgedruckt werden konnten. Mit diesen Büchern konnte sie bereits eine eigene Nische schaffen, in dem diese sowohl in Buchläden, wie auch in Galerien ausgesellt werden konnten. Das erste Leporello Wilhelm Tell wurde vom ist 1962 vom Junior Council des Museum of Modern Art auf Englisch veröffentlicht und hat 1964 ebenda eine zweite Auflage erfahren In einer eingängigen Symbolsprache wird die Geschichte von Wilhelm Tell visuell erzählt. Bei den Bildern handelt es sich nicht mehr um klassische Illustration, sondern um eine in reduziert-abstrakter Zeichensprache notierte Choreografie der Handlung. Der Realismus herkömmlicher Darstellungen wird in Lavaters Künstlerbüchern aufgehoben.
Imageries
Ab 1965 publizierte der renommierte Pariser Kunstverlag Adrien Maeght Editeur Lavaters Imageries. Die bei Maeght erschienenen Künstlerbücher nach Charles Perrault und den Gebrüder Grimm, „Rotkäppchen“ (1965), „Die Geschichte vom Glück“ (1968), „Schneewittchen“ (1974), „Aschenputtel“ (1976), „Däumling“ (1979) sowie „Dornröschen“ (1982) – sind die wohl bekanntesten Werke Lavaters, auch wenn es sich nur um einen kleinen Ausschnitt ihres von thematischer Vielfalt und gestalterischem Ideenreichtum geprägten Œuvres handelt. Diese sechs Märchen sind 1982 in einer aufwendigen Gesamtausgabe erschienen und 1994 verfilmt worden (IRCAM, Centre Pompidou). Für diese Märchen verwendete Lavater den Begriff der Imageries und dehnte ihn nach und nach auf fast alle ihre Künstlerbücher aus. Die Imageries lösen die Folded Stories (1962–1968) ab und markieren damit den Wechsel der Herausgeber und des kulturellen Sprachraums, in welchem sie erscheinen.
Rotkäppchen – Le Petit Chaperon Rouge
Wie Warja Lavater in ihrem Werktagebuch vermerkt, ist der Entwurf zu „Rotkäppchen“ (1960) ihr erstes Leporello. Dabei dient die literarische Vorlage des grimmschen Märchens als Folie für eine radikal neue gestalterische Idee: eine Geschichte ausschließlich in farbigen Punkten zu erzählen. In Rotkäppchen werden grüne, rote, blaue und schwarze Punkte zu graphisch-visuellen Szenen angeordnet, als Protagonisten sind sie Teil einer rein visuell dargestellten Handlung. Um die Szenen zu entschlüsseln, dient eine auf den ersten Seiten des Leporellos eingefügte Zeichenlegende als Hilfe. In Form einer Liste werden die farbigen Punkte erklärt: Der rote Punkt steht für Rotkäppchen, der schwarze für den Wolf, der blaue für die Großmutter, der braune für den Jäger, der gelbe für die Mutter und die grünen für die Bäume des Waldes. Ein braunes Rechteck steht außerdem für das Haus und eine braune eckige Linie in Form eines U für das Bett. Durch die abstrakte, graphisch-visuelle Umsetzung eines bekannten Märchens gelingt es die mimetischen Darstellungsweisen der herkömmlichen Illustration hinter sich zu lassen.